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Ein Buch fällt uns in diesen Tagen aller Orten, auch in den Weinbars und Weinläden der Stadt, ganz besonders ins Auge: Wein genießen, das neue Werk von Paula Bosch. Auffällig im Design, leuchtend blau, die Schrift in edlem Gold und zwischend den Buchdeckeln das geballte Weinwissen der Grande Dame der deutschen Weinszene. „Ultimative Anleitung für höchsten Weingenuss“ verspricht der Klappentext – wir finden das Buch anregend, auch provokant und im besten Sinne lehrreich, ein Buch das sowohl Einsteigern als auch fortgeschrittenen Weinliebhabern viel zu bieten hat. Ein Buch das man gerne in die Hand nimmt und das man, einmal geöffnet, auch nicht so schnell wieder weglegen mag!

Aus Anlass der Neuerscheinung gehen unsere 3 Fragen heute an Paula Bosch. Wir sprachen mit Deutschlands bekanntester Sommelière über Weinmoden, Modewein und über ihre Sorge vor Scharlatanerie bei Naturwein.

 

Paula Bosch stellt ihr neues Buch "Wein geniessen" vor. Foto: © Callwey Verlag 2018
Bestseller-Autorin und Spitzensommeliere Paula Bosch stellt ihr neues Buch in der Münchner Weinhandlung Walter & Benjamin vor. Foto: ©Callwey Verlag.

Liebe Frau Bosch, im Vorwort zu „Wein genießen“ heißt es: „Alles, aber wirklich alles hat sich in der Weinwelt der letzten 20 Jahre verändert“ – ihr Buch, das eine erweiterte Neufassung Ihres im Jahr 2001 erschienenen Buches „Weingenuss“ ist,  liest sich wie die Antwort auf diese Veränderungen.

Lassen Sie uns über den Wandel sprechen, welche Veränderung der Weinwelt hat Sie persönlich am meisten erstaunt?

Am meisten erstaunt mich die Orange-Wine-Szene. Die Akzeptanz der zahlreichen, fehlerhaften Weine, auch im Kreis von geübten Sommeliers, Fachleuten aus der Weinbranche, auch Journalisten und Weintrinkern, ist mir unerklärlich. Am wenigsten kann ich verstehen, dass hier keine Qualitätsweinprüfung stattfinden muss und zwar im Sinne von einer Lebensmittelkontrolle. Allein die Tatsache, dass auf den Weinetiketten der Zusatz „enthält Sulfide“ seit x-Jahren stehen muss, ist doch widersprüchlich, weil es aus natürlichen Gründen gar keinen Wein ohne Schwefel geben kann. Würden allerdings alle Weine auf bestimmte Inhaltsstoffe geprüft und diese dann auf dem Rückenetikett genannt werden, gäbe es viel weniger fehlerhafte Weine auf dem Markt, die unter dem Schutzmäntelchen „Orange“, teils auch Naturwein, angeboten werden dürfen. Von den Reaktionen im menschlichen Organismus, angefangen bei Unverträglichkeiten bis zu den übelsten Allergien, ganz zu schweigen.

Stichwort Inhaltsstoffe – Nach EU-Recht gilt Wein ja als Genuß- und nicht als Lebensmittel und unterliegt daher einer anderen Kennzeichnungspflicht. Außer dem genannten Schwefel müssen Zusatzstoffe nicht auf dem Etikett aufgeführt werden. Immer wieder aber werden Stimmen laut, die eine Änderung dieser Praxis fordern und auf eine vollständige Listung der Inhaltsstoffe drängen. Was glauben Sie, würde eine solche Transparenz helfen?

Gerade für Allergiker, aber nicht nur für diese, wäre eine Kennzeichnungspflicht von größer Bedeutung. Schließlich habe ich als Verbraucher ein Recht zu wissen, was ich konsumiere. Und wenn das bei Lebensmitteln so ist, sage mir ein Mensch, warum das beim Wein anders sein darf? Hier wird Seiten des Gesetzes viel zu viel Manipulation erlaubt. Vermutlich steckt hier eine machtstarke Lobby dahinter.

„Bei salzigen Fischgerichten wie Austern oder bei der Luxuskonserve Kaviar sind Kontraste mit gereiften, restsüßen Rieslingen, speziell von der Saar und Mosel ein Hit.“

Weißwein zum Fisch, Rotwein zum Fleisch – eine Regel, die so ja heute nicht mehr allgemein gültig ist. Gibt es andere Beispiele für ehemals „ultimative Weinweisheiten“, die heute ganz anders gesehen und ausgelegt werden?

Ja, zum Beispiel die Tatsache, dass viele Weissweine, besonders jene die im Holz gereift sind, inklusiver aller Orangeweine, dekantiert werden sollten. Rotweine mit wenig Tanninen müssen sehr viel kühler ( 14°-16°) serviert, bzw. getrunken werden. Daher sind ihre Kombinationsmöglichkeiten größer. Denken sie dabei nur an die vielen vegetarischen Gerichte, egal ob mit Reis, Pasta, Bulgur oder Kartoffeln. Früher wurde in den meisten Fällen Weißwein serviert, heute denkt man oft an kühler servierte Rotweine. Ober beim Dessert – Schokolade, besonders ganz dunkle mit hohem Kakaoanteil harmoniert sehr gut mit Rotweinen. Früher dachte man nur an weiße Edelbeerenauslesen. Denken Sie nur einmal an die gelungene Variante: Sachertorte oder Schokomousse mit Valpolicella, Amarone oder einem fetten Syrah von Übersee. Bei salzigen Fischgerichten wie Austern oder bei der Luxuskonserve Kaviar sind Kontraste mit gereiften, restsüßen Rieslingen, speziell von der Saar und Mosel ein Hit. Auch die vielen Sauvignon Blanc zu Frischkäse. Nicht zu vergessen die Roséweinwelle. Alles ist erlaubt – was ja ein absoluter Quatsch ist, sofern es sich um eine Empfehlung handelt. Aber alles was Sinn macht, ist dann schon auch sinnvoll.

Wer heute über Wein schreibt, kommt am Naturwein, am Orangewein nicht vorbei. Sie nennen das Kapitel über den neuen Hype provokant „Welche Sau wird als nächstes durchs Dorf getrieben?“ Was meinen Sie, haben diese Weine das Potential, auch den Stil konventioneller Weine zu verändern? Werden in einigen Jahren auch außerhalb der Naturwein-Nische Orangeweine ganz selbstverständlich sein? Ich muss dabei an die noch vor einige Jahren von den meisten Winzern abgelehnte Spontanvergärung denken – heute gehört das spontane Vergären ja bei vielen (auch konventionell arbeitenden) Winzern zum guten Ton…

Leider werden die konventionell arbeitenden Winzer heute immer mehr von den Naturweinjüngern an den Rand der Weingesellschaft gedrängt, obwohl ein immer größer werdender Prozentsatz von diesen Winzern, teils naturnaher arbeitet, als viele, sogenannte Naturweinwinzer von sich behaupten. Im Übrigen gehörte die Praxis der heutigen Biodynamischen und Naturweinszene vor knapp fünfzig Jahren zum Weinalltag, genauso wie der Minirock, Seidenstrumpf, Petticoat oder seinerzeit dann der Maxilook. Solang die Chemieindustrie unkontrolliert mit Beginn Mitte der 70iger Jahre den Markt überschwemmen konnte (ein Beispiel das leidige Glyphosat) und diese Mittel zum geheiligten Zweck wurden, hat kein Mensch von Bauern und Winzern Notiz genommen, die entweder aus mangelnden Finanzmitteln, oder auch aus tiefster Überzeugung, davon keinen Gebrauch machten. Und heute werden viele von ihnen völlig zu Unrecht, als die schwarzen Schafe der Branche hingestellt.

„Vergleichbar mit der missbrauchten Nouvelle cuisine und ihrem steinhart servierten Gemüse (…) wird sich die Nische Orangeweine nie durchsetzen. Sie wird wie die Hippiewelle der 60iger wieder verschwinden…“

Die Spontangärung an sich war ja in Fachkreisen nicht angezweifelt, sondern nur die Tatsache, sprich ihre zahlreichen, mangelhaften Ergebnisse, welche von den Laienkunden nicht als solche erkannt wurden. Man hat sie ihnen regelrecht aufgequatscht, mit der Begründung, dass es sich hier um eine besondere Art der Vergärung handle und der Wein deshalb so schmeckt bzw. schmecken müsse, sich der „Stinker“ aber mit der Zeit lege (was nie zutraf). Mit der Erfahrung und Praxis hat man dazu gelernt, die Fehler sind heute viel seltener geworden, aber dennoch teils vorhanden. Die Nachfolge hat nun die Szene mit den „Maischevergorenen“ Weinen angetreten. Manche sind gut, manche grauenhaft. Aber fast immer werden sie falsch serviert.

Vergleichbar mit der missbrauchten Nouvelle cuisine und ihrem steinhart servierten Gemüse (welches mit Biss völlig falsch verstanden aufgetischt wurde, sowie die fehlerhaft interpretierten Miniportionen auf den Tellern), wird sich die Nische Orangeweine nie durchsetzen. Sie wird wie die Hippiewelle der 60ziger wieder verschwinden und die wirklich Guten unter ihnen bleiben als Besonderheit am Markt bestehen, weil sie wirklich gut sind. Jene Produzenten, die Ihre Weine schon als konventionell arbeitenden Winzer nicht an die Kundschaft gebracht haben, werden in diesem kleineren Produzentenkreis zwar eher wahr, aber nicht ernstgenommen.  Die Naturweinszene wird sich etablieren und sich wie selbstverständlich in den vernünftigen, guten Weinbau ganz natürlich integrieren. Sorgen machen mir dabei nur die vielen Schlupflöcher der Gesetzgebung, die es vielen Scharlatanen erlaubt sogenannte „Bioweine“ zu produzieren, die in Wirklichkeit alles andere als BIO sind.

Liebe Frau Bosch, vielen Dank für das Gespräch!

Paula Bosch, Foto: © Callwey Verlag

Bestseller-Autorin und Spitzensommeliere Paula Bosch stellt ihr neues Buch in der Münchner Weinhandlung Walter & Benjamin vor.

Foto: ©Callwey Verlag.

Wein genießen, das neue Buch von Paula Bosch, Foto: © Callwey Verlag

Wein genießen, das neue Buch von Paula Bosch

Foto: © Callwey Verlag

Bestseller-Autorin und Spitzensommeliere Paula Bosch stellt ihr neues Buch in der Münchner Weinhandlung Walter & Benjamin vor. Foto: ©Callwey Verlag.

Die Buchpräsentation fand in der Münchner Weinhandlung Walter & Benjamin statt.

Foto: ©Callwey Verlag.

Paula Bosch, Wein genießen. Erschienen im Callwey Verlag

Preis: € 35,00

ISBN: 978-3- 7667-2275- 1

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