Historische Rebsorten
3 Fragen – 3 Antworten. Wir sprechen mit Ulrich Martin über sein Projekt „Historische Rebsorten“.
Wer sich mit alten Rebsorten auseinandersetzt, merkt schnell, dass die wenigsten in Deutschland angebauten Rebsorten alteingesessen oder gar autochthon sind. Anders als zum Beispiel in Portugal oder Italien, wo man stolz hunderte uralt-eingesessener Rebsorten aufführt, haben es hierzulande nur sehr wenige alte einheimische Sorten in die Neuzeit geschafft. Riesling, Silvaner, Elbling, möglicherweise auch noch der Trollinger – sie spielen in der ersten Liga, aber was ist mit Blauem Arbst, Grünem Adelfränkisch, Rotem Hänisch oder auch Fränkischem Burgunder? Nie gehört? Kein Wunder, denn diese uralten Rebsorten sind so gut wie verschwunden. Wenn es allerdings nach Rebenzüchter Ulrich Martin geht, steht gerade diesen alten Sorten eine vielversprechende Zukunft bevor.
Ulrich Martin, Inhaber einer Rebschule in Gundheim und Gründer des Projekts „Historische Rebsorten“
Herr Martin, wann sind uns die historischen Sorten verloren gegangen?
Die Sorten gingen im Prinzip erst vor 150, 180, vielleicht 200 Jahren verloren. Durch die Mehltaukrisen (durch die Einschleppung vom echten und falschen Mehltau) und die Reblauskrise (ausgelöst durch einen weiteren Sortenimport aus den USA, mit dem die Reblaus bei uns eingeschleppt wurde) ging der zuvor übliche Weinanbau sehr schnell und auf dramatische Art und Weise verloren. Die Weinberge gingen kaputt. Auch die zwei Weltkriege und nicht zuletzt die während der Zeit des Nationalsozialismus erlassenen, politisch motivierten Anbauverbote „arischer“ Rebsorten führten zum Verlust von Rebsorten. Und schließlich haben wir nach diesen ganzen Katastrophen Qualität anders definiert als heute. Wir haben darauf geachtet, eine hungernde Bevölkerung ernähren zu können. Und da waren ertragsstabile, blühstabile Sorten gefragt und züchterisch gewollt. Dagegen waren empfindliche ertragsschwache, kleinbeerige Sorten weniger gewünscht. Zuvor dominierte über die Jahrhunderte, über die Jahrtausende hinweg in den Weinbergen der Mischsatz, das erklärt auch die hohe Sortenvielfalt. In diesen Mischsätzen standen manchmal 10, 20, aber teilweise bis zu 40 Sorten auf 800 Stöcken zusammen – einige diese uralten Mischsätze konnten von Andreas Jung sogar noch entdeckt werden. Mit anderen Worten: gemessen an ihrem Alter von 8 000 oder sogar 10 000 Jahren, sind uns die Rebsorten mit dem letzten Wimpernschlag verloren gegangen. Und dass sie auch aus unseren Köpfen verschwunden sind, liegt sicher auch an ihrer Historie. Man hatte früher zwar durchaus auch Rebsortenbestimmungen durchgeführt, man hatte auch immer von einzelnen Rebsorten gesprochen, aber man hatte wohl nicht jede Rebsorte so genau im Fokus, wie heute im Rahmen eines sortenreinen Anbaus. Auch wurden damals Bestimmungsfehler gemacht, nicht nur die Pflanze vielleicht genetisch falsch identifiziert, auch durch die Verwendung von Synonymen und Homonymen entstanden Fehler.
Wie und wo spüren sie die alten Sorten auf? Wie erkennt man sie?
Für das Entdecken und Dokumentieren der alten Sorten ist Andreas Jung zuständig, er ist sozusagen der wissenschaftliche Part des Projektes „Historische Rebsorten“. Er erkennt sie visuell an ihren Blättern, Triebspitzen, an der der Frucht, der Fruchtform und -farbe, an der Beerenart, -größe und ihrer Form. Andreas Jung ist ein begnadeter Ampelograph – handwerklich einer von drei oder vier Leuten weltweit, die das so gut beherrschen. Bei der empirischen Ampelographie ist die heute auch in unserer Fachwelt oft genannte Genanalyse zunächst nicht weiter – denn Sie müssen einen Computer erst richtig füttern, damit er das auch richtig erkennt. Ein weiteres Problem der alten Rebsorten ist, dass sie genetisch fast Zwillinge sind. Also wird Ihnen der Computer im Rahmen einer Genanalyse sagen, dass es die gleiche Sorte ist. Das aber stimmt nicht, es sind eigene Individuen, eigene Sorten letztendlich, die sich nur visuell bonitieren (einstufen) lassen. In Kombination mit seinem scharfen und guten Auge arbeitete Herr Jung dann mit historischen Bildern und Zeichnungen früherer Ampelographen, hat aber auch selbst im Laufe der Zeit ein großes Repertoire an Rebsorten gesammelt und archiviert. Er war früher am Geilweiler Hof (dem heutigen Julius-Kühn-Institut) tätig, hat dort schon die Sortimente betreut und auch im Labor Genanalysen gemacht. Er ist also vom Fach, stellt aber jetzt für die Identifikation der historischen Sorten eigene, interdisziplinär geprägte Recherchen an. Andreas Jung nicht nur Geo-Botaniker, sondern auch Ethnologe und ist so nicht nur in der Lage, die Rebsorten zu bestimmen, sondern sie auch in einen historischen Kontext zu stellen und zu sehen, inwieweit etwa Völkerwanderungen und Klimaveränderungen Einfluss auf die Verbreitung einer Sorte hatte. Immerhin haben die Reben den Menschen begleitet seit er sesshaft wurde. So können wir am Ende jeder Rebsorte eine eigene Geschichte geben. Und mit jeder einzelnen Geschichte ergibt es eine neue Gesamtgeschichte des Weinbaus, so wie wir ihn heute eigentlich nicht kennen. Daher ist es uns auch wichtig von „historischen“ Rebsortne zu sprechen und nicht von „alten“ oder „ausgestorbenen“.
Andreas Jung – Ampelograph, Geo-Botaniker und Ethnologe. Entdeckt so manche ausgestorben geglaubte Rebsorte!
Handelt es sich bei den von Ihnen wiedergefundenen historischen Sorten um autochthone Rebsorten?
Im Grunde nein, denn man muss wissen, dass jede Weinrebe importiert wurde. Denn entstanden sind die Reben nicht in unseren Breiten, auch nicht in Italien oder in Frankreich, sondern im Vorderen Orient. Das ist zum einen klimatisch bedingt, liegt aber auch an der Tatsache, dass dort zwischen Schwarzen und Kaspischen Meer in der Eiszeit gewisse Wildpopulationen beheimatet waren, die sich dann, als es wärmer wurde, weiter ausbreiten konnten. Es kam dann zu den ersten Kreuzungen zwischen Wildrebenarten, die, wenn man so will, die erste Generation unserer Weinrebe entstehen ließen. Dazu gehören z.B. die historischen Sorten Hartblau und Süßschwarz. Sie sind die sogenannte F1-Generation, sozusagen der Urknall unserer heutigen Weinreben, die man ja biologisch gesehen auch als „heterozygot“ (mischerbig) bezeichnet. Das heißt: da waren zunächst verschiedene wilde Reben, die „homozygot“ (reinerbig) waren und daraus entstanden durch Hybridisierung die ersten Heterozygoten und damit dann letztendlich diese Vielfalt, die wir heute bei der Weinrebe sehen können.
Sie vermehren die historischen Sorten in Ihrer Rebschule und konnten auch schon einige Winzer mit Ihrer Leidenschaft anstecken. Abgesehen von der Sortenvielfalt – was ist das Besondere an den alten Rebsorten? Schmecken sie besonders gut? Sind sie widerstandsfähiger als die uns bekannten Rebsorten?
Unsere Rebsorten sind etwas Besonderes. Sortenvielfalt, das Thema Biodiversität ist da ganz groß. Das berührt jeden Bio Winzer schon mal, auch die junge Generation, die sehr stark über Nachhaltigkeit nachdenkt Aber letztendlich würden die Winzer so eine Rebsorte nicht anbauen, wenn die Weine nicht schmecken würden. Anders als zu Beginn meines Projektes sind wir heute gut positioniert. Heute wissen wir, wie gut die Sorten sind – und sie sind gut! Und das lässt mich ruhig durchatmen, weil ich weiß, was da noch kommen kann. Und sie werden deshalb auch von dem einen oder anderen Winzern angebaut. Wir suchen nicht nach der 100-Parker-Punkte-Rebsorte, sondern wir haben uns auf die Fahne geschrieben, Vielfalt wieder erlebbar zu machen. Das bedeutet: bei mir finden Winzer, die ihre Weine vielleicht preissensibel verkaufen müssen, eine ertragreichere historische Rebsorte für ihren Anbau, aber auch der VDP-Winzer oder Winzer, die das Qualitätsdenken auf die Spitze treiben und auch sehr hochpreisig vermarkten können, werden fündig. Das ist das Schöne an Vielfalt.
Im Mittelalter hoch angesehen und dann aus den Augen verloren: die Rebsorte Grüner Adelfränkisch wurde erst im Jahr 2007 wiederentdeckt.
Sind die historischen Sorten widerstandsfähiger?
Ja, gegen alles, was man hier so kennt, wie z.B. die Kirschessigfliege, wie z.B. Botrytis. Aber sie haben keine besondere Widerstandsfähigkeit gegen die Oidiumpilze. Das können sie auch nicht, weil diese Pilzarten ja wie gesagt, erst vor 150 Jahren hierher eingeschleppt wurden. Und da kann natürlich eine alte Rebsorte keine Resistenz gebildet haben.
Wie schätzen Sie das Potenzial der alten Sorten ein?
Ich halte das Potenzial der alten Sorten für sehr hoch, sehr sehr hoch. Gerade auch für die weininteressierten Leute, die mal wieder etwas Neues suchen. Die den Riesling schon kennen, die einen Chardonnay schon kennen, die gerne spannende Geschichten hören. Leute, denen es Spaß macht, sich in so einem Projekt mit einzubringe. Denn jeder, der so einen Wein trinkt, trägt dazu bei, dass die Sorte nicht wieder verloren geht. Und ist somit auch ein Retter dieser Rebsorten.
Sind sie eine praxistaugliche Alternative zu den gerade so gehypten PIWI-Sorten?
Alternative ist für mich so ein bisschen abgrenzend, ausgrenzend zu den PIWI Sorten. Ich sehe unsere alten historischen Rebsorten mehr mit dem „und“ versehen. Also Traditionssorten, die wir kennen und lieben, wie Riesling, Chardonnay, Pinot und PIWI Sorten für gewisse Anbausituationen und Interessen, wie etwa weniger Spritzmittel, Green Deal, „2030 braucht man das“ und historische Rebsorten nebeneinander, denn die historischen Rebsorten eröffnen uns einen Blick in unsere Branche. Auch gerade für den Winzer ist es wichtig, mit solchen Sorten wieder zu arbeiten. Es gibt da ein schönes Zitat von Humboldt, der sagt: „Nur wer seine Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“ Insofern sind diese alten historischen Rebsorten womöglich eine Basis für Weiterentwicklung des deutschen Weines, vielleicht werden sie auch als Kreuzungspartner die Basis neuer PIWI-Sorten.
Ihr Fazit?
Das Projekt historische Rebsorten hat sich zum Ziel gesetzt, eine wiederentdeckte Vielfalt erlebbar zu machen, weil ich der Überzeugung bin, nur was gelebt und erlebt wird, kann nicht wieder vergessen werden. Und diese Sorten gehören wieder zurück in die Weinwelt, weil es wirklich ganz besondere Weine und ganz besondere Qualitäten sind – das wurde mir auch von von vielen Weinliebhabern, Sommeliers und Weinhändlern bestätigt. Da schmecken Sie Geschichte!
Herr Martin, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!
Bis 2005 verschollen: die ursprünglich aus Transsylvanien stammende Bettlertraube, eine genetische Schwester des Lemberger.
Copyright: alle Abbildungen in diesem Artikel wurden uns von Ulirch Martin zur Verfügung gestellt. Die Bildrechte liegen bei der Initiative „Historische Rebsorten“ bzw. Andreas Jung.